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Zerstörung von Kulturgut durch "Kulturhauptstadt RUHR 2010"
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Feudalkultur

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"Kultur im Wandel - Wandel durch Kultur" lautet der Slogan der "Kulturhauptstadt RUHR 2010".

Dieser sich in einer sinnlosen Endlosschleife drehende Slogan zeigt bereits die Hilflosigkeit der Macher von "Kulturhauptstadt RUHR 2010".

Er steht für die Konzeptlosigkeit eines Wandels um jeden Preis, eines Wandels im Sinne von "nur weg von hier, egal wohin". Der Wandel wird zum Selbstzweck. Alles wird zur Kultur, was diesen Wandel repräsentiert. Statt aus den vorhandenen reichen Quellen zu schöpfen, statt aus historischen Wurzeln heraus Sinn zu schaffen, wird ein Vakuum erzeugt, in der Hoffnung, dass sich daraus schon "irgendwie von selbst" etwa Neues ergeben wird.

 
In einem kompakten Gebäude vereinte das Hattinger Stahlwerk der Henrichshütte Oxygen- und E-Stahlwerk sowie Strangussanlage und Stahlgiesserei. Damit wäre es ein ideales Objekt zur musealen Darstellung der Stahlproduktion gewesen. Wäre. Denn auch für dieses industriekulturelle Juwel war in der Kulturhauptstadt RUHR 2010 kein Platz. Der Abbruch erfolgte 2004.

Im offiziellen Faltblatt zur Kulturhauptstadt RUHR 2010 heisst es zynisch: "Die Identität dieser Metropole ist nicht mehr geprägt von Arbeit, sondern von Kultur".

"Kulturhauptstadt RUHR 2010" diffamiert damit die Arbeit der Ingenieure, der Arbeiter und Unternehmer. Der Slogan ist ein Schlag in's Gesicht aller die mit Tatkraft und Kreativität Industriekultur und damit die materielle Grundlage unserer Gesellschaft erarbeiten. Er suggeriert, dass eine Gesellschaft ohne Arbeit funktionieren kann.

Aber das läuft eben nur so lange wie die Drecksarbeit fernab der "zivilisierten" Welt irgendwo in Afrika oder Fernost erledigt wird, solange wie unsere stylishen Klamotten durch Kinderarbeit entstehen, solange wie das Blut tausender chinesischer Bergleute an billiger Importkohle klebt... (Chinas Minen sind Todesfallen für die Kumpel)

Den Menschen wird vorgegaukelt, dass man durch eine von Produktionsanlagen "gesäuberte" Dienstleistungsgesellschaft, durch blosses Verschieben von Geld, durch Börsenspekulationen und immer neue Versicherungs-"Produkte" Wohlstand schaffen kann.

Spätestens seit dem letzten Börsencrash müsste jedem aufgegangen sein, dass dies eine Lüge ist.

"Kultur statt Arbeit" ist ein interessanter Ansatz: wir schaffen die Arbeit ab und machen eine Spassgesellschaft. Panem et Circenses! Freibier für alle! Und den ganzen Spass finanziert die bad bank.

Die Verspassung kultureller Sachzeugen hat ja schon begonnen: aus dem Kohlensilo der Zeche Maximilian wurde ein spassiger Glaselefant, die Ofenbatterien der Kokerei Zollverein werden von einem spassigen Riesenrad gekrönt und das Hochofenwerk in Meiderich wird nachts zu einer hübsch-bunten, spassigen Touristenattraktion.

Läge Köln in der Kulturregion RUHR 2010, hätte man den Dom vielleicht inzwischen zu einer spassigen Disko umgebaut.

"Kulturhauptstadt RUHR 2010" propagiert eine Kultur des Konsumierens statt einer Kultur kreativer und produktiver Arbeit. "Kulturhauptstadt RUHR 2010" offeriert leichtverdauliche, spassige Events und Happenings statt über fundamentale Zukunftsfragen nachzudenken.

Authentische Kulturdenkmale passen nicht in das Konzept des Wandels, passen nicht in das von "Kulturhauptstadt RUHR 2010" propagierte Image der Spass- und Konsumgesellschaft.

Technische Denkmale stehen dem vermeintlichen Fortschritt im Weg und werden schnellstens entsorgt, um den Wandel sichtbar zu machen.

 
Auch in Oberhausen: kein Raum für Kultur. Das bereits für eine museale Nutzung vorbereitete Elektrostahlwerk musste einer Brache weichen.

Beispielsweise streben in Oberhausen ein irischer Investor und ein Oberbürgermeister getreu dem Sprichwort "Die kürzeste Antwort ist handeln" nach einer "städtebaulich und architektonisch höchstmöglichen Qualität" für die Nachnutzung des ehemaligen Elektrostahlwerks und handeln konsequent: das Stahlwerk wird kürzestmöglich abgerissen und dann ... passiert lange Zeit gar nichts, bis - na immerhin - sage und schreibe knapp 10% der entstandenen Brachfläche durch ein in gar nicht "architektonisch anspruchsvoller" Einheits-Wellblechkonstruktion ausgeführtes Gartencenter bebaut werden. (Handelsblatt: "Oberhausen präsentiert Käufer für O.Visions")

Hier ist also noch reichlich Raum für zukunftsorientierte Entwicklungen. Vielleicht könnte man hier ein paar bad banks bauen oder noch einige Arbeitsämter? Denn diese Wachstumsbranchen haben Entwicklungspotenzial, sogar ganz ohne Arbeit. (Denn die wollen wir ja nicht mehr - siehe oben.)

Am Rande notiert: Un-Kenntnis der Macher scheint bestens in das Konzept von "Kulturhauptstadt RUHR 2010" zu passen: die für den Abbruch des Elektostahlwerks Verantwortlichen begründeten den angeblichen Unwert der Anlage damit, dass es in Duisburg ja mit dem Landschaftspark bereits ein Stahlwerk gebe. Die Fachkompetenz dieser "Experten" reicht offenbar nicht aus, um den fundamentalen Unterschied zwischen einem Hochofen und einem E-Stahlwerk zu erkennen. (Schichtwechsel: Medienecho Abriss E-Stahlwerk Oberhausen)

Den Machern von "Kulturhauptstadt RUHR 2010" fehlt es am Respekt vor den technischen und architektonischen Leistungen unserer Vorfahren.

Was nicht ganz vernichtet werden kann, wird mit Millionenbeträgen verzerrt, verwandelt, "umgenutzt". Beispielsweise wird der auf dem Dach der Küppersmühle in Duisburg geplante Glaskubus, eine Duftmarke profilierungssüchtiger Stadtplaner und Manager, ein weiteres Kulturdenkmal in eine Farce verwandeln. 10. Mio Euro Steuergelder sollen dort verschwendet werden.

 
Ein bedrohtes Industriedenkmal ersten Ranges: von Schupp und Kremmer entworfenes Fördergerüst der Zeche Lohberg in Dinslaken

Zum Erhalt authentischer Industriedenkmale fehlt dagegen angeblich das Geld. So steht beispielsweise das von Schupp und Kremmer entworfene architektonisch richtungsweisende Fördergerüst der Zeche Lohberg auf der Abschussliste. Zugleich soll aber auf der benachbarten Halde eine "Zitadelle" errichtet werden; als Bollwerk gegen die Dummheit und Arroganz der Macher?

Der Geschäftsführer von "Kulturhauptstadt RUHR 2010" resumiert die Konzeptlosigkeit der Veranstaltung in einem Satz: "Wir wollen neue Bilder gegen das alte, standortschädigende Image setzen". Er diffamiert die kulturellen Wurzeln einer ganzen Region als "standortschädigendes Image", das es zu beseitigen gilt. Schlimmer noch: als vermeintliche Zukunftsperspektive bietet er nur "neue Bilder" an, Bilder, die das Bestehende übertünchen, ein schöner Schein, leere Hüllen ohne Inhalt, ohne Wurzeln und ohne Sinn.

Die vor den Karren des Strukturwandels gespannte "Kulturhauptstadt RUHR 2010" bietet aber keine Antworten auf die drängenden gesellschaftlichen Probleme. Das mag in Zeiten von "Deutschland Sucht Den Superdeppen" ein zu hoher Anspruch an Kultur sein. "Kulturhauptstadt RUHR 2010" stellt aber nicht einmal die wesentlichen Zukunftsfragen und bietet statt dessen schöne bunte Scheinlösungen an.

Machen wir es uns also bequem und geniessen Un-Kulturhauptstadt RUHR 2010.


"We could be the Venice of the North". Who said that? Alderman Percy Trumfleetwho, admittedly, wes seeking re-election at the time and was, therefore, not unbiased. However, from certain angles, he had a point. For 'gondolier' read 'bargee', and it has to be conceded that our Venice is built upon utility not ornament. But utility has its own graces. Our palaces may be mills but some of them are still making cloth the world recognizes as superior. If we are without ornament we are not without dignity. And dignity is weightier than ornament. Perhaps dignity is our ornament.

Roy Clarke, Summer Wine Country


Herr Professor Roland Günter, Vorsitzender des Deutschen Werkbundes, schrieb zu meinem Artikel folgenden Kommentar, den ich hier dankenswerterweise veröffentlichen darf.

Lieber Harald Finster, ausgezeichnet.

Da "wirtschaften" einige wenige Leute mit den Drähten zu ein bisschen großem Geld und Medien nach dem Motto: Auch das Ruhrgebiet soll "endlich so wie anderswo werden" (ironisch formuliert von Karl Ganser). Diese Mandarine konterkarieren die IBA und 30 Jahre kulturelle Arbeit. Sie haben nicht den mindesten Kontakt mit einigen Vorarbeitern dieser Region aufgenommen, u. a. zu mir - was ich andererseits sogar gut finde, weil ich sagen kann: Mit den Nebelkerzen, die 2010 in die Luft geschossen werden und dort sofort im Winde verwehen, habe ich nicht das geringste zu tun. Diese kleine radikale Minderheit arbeitet daran, dieser Region die Identität zu nehmen - im Namen der Identität. Der Diabolos (altgriechisch) ist der Verwirrer. Wandel ohne Sinn - das haben Sie treffend formuliert. Bei Max Brod kann man lesen: Da gibt es an einem Ufer des Flusses eine Ziegelei, sie macht Ziegel, die ans andere Ufer transportiert werden, dort werden sie zermahlen - und das Ziegelmehl wird dann zurückgeschickt ans erste Ufer, wo es wieder zu Ziegeln gebacken wird und erneut ans zweite Ufer kommt und von dort wieder ans erste - und so weiter. Tonino Guerra: "Weiß nicht wohin und läuft schon los."

Dieses absurde Spiel geht Gottseidank vorüber - es wird das Jahr 2 011 geben und dann weitere Jahre. Man wird die Rauchbomben und Nebelkerzen von 2 010 nur als eine Fußnote aufschreiben. Wir sind im Ruhrgebiet das Volk. Wir tun, was wir tun können - ganz anderes. Der Deutsche Werkbund, den ich anführe, hat mit 2010 ebenfalls nichts zu tun - wir machen unser eigenes Programm. Es gibt die faktische Kulturhauptstadt - das sind wir schon lange - und das werden wir sehr lang bleiben. Und es gibt den Jahrmarkt der Eitelkeiten mit dem üblichen Schall und Rauch - wie ihn die Medien weltweit in die Luft blasen. Wir haben unsere allmählich aufgebaute Kulturhauptstadt mit viel Arbeit in Jahrzehnten zustande bekommen - ohne den Draht zu den Fleischtöpfen Ägyptens. Dies bleibt und wirkt. Es ist wunderbar, mit wie wenig Finanzen wir dies geschafft haben. Der Geist ist weitaus mächtiger als das große Geld. Die lange Erfahrung, die wir Geschichte nennen, hat viele Beispiele dieser Art - das ermutigt. Das Feuerwerk der Nichtigkeiten geht vorbei - und auch die Leute, die "ihren geblähten Busen für den Blasebalg der Gottheit halten" (Friedrich Nietzsche).


©   Harald Finster, Gulpener Str. 26, 52074 Aachen, Germany   Industriefotografie
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