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Markus Grünthaler

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wheel-barrow at the casthouse

wheel-barrow at the casthouse

Als ich damals in der Hütte anfing, die Anlagen im Bild festzuhalten war Kopfschütteln die Reaktion. Heute laufen sie alle nach den Bildern hinterher und betteln die Leute um eine Aufnahme einer Anlage, die es nicht mehr gibt, die platt gemacht worden ist oder zubetoniert. Wieviele alte Werksteile, Maschinen und Anlagen habe ich auf der Hütte gesehen und bestaunt als ich anfing, von denen heute keine Schraube mehr übrig ist. Als sie weg waren, begann man sie Jahre später zu suchen um sie zu "archivieren". Wie immer zu spät.

Ich verstehe es bis heute nicht, warum man die komplette Hochofen-Linie abgebrochen hat, zumal der Platz, an dem sie standen, heute immer noch leer ist und für nicht anderes gebraucht wurde, außer als willkommener Lagerplatz für altes Gerümpel und Dinge, mit denen man nicht wußte, wohin damit.

Fünf Öfen in einer Reihe mit durchgehender Gichtbühne und zwei Senkrechtaufzügen. Nirgends sonst gibt es das in dieser Art zu sehen.

Völklingen hat einen Schrägaufzug, und die DK hat nicht so viele Öfen.

Ein einmaliges industrielles Wunderwerk der Technik wurde hier zerstört.

Überhaupt war vieles an der alten Hochofenanlage, was nur in der MH vorhanden war. Die alten Granulationsbunker mit Kettenbaggern, die hölzernen Dampfabzugskamine über den Granulationsbecken, je einer an jedem Ofen. Drei getrennte Gießhallen, je eine für den Ofen 4, eine für die Öfen 6, 1, 2 und eine für den 3er. Die schönste war die Große für die drei Öfen.

Der Hochofenleitstand, der ebenerdig neben dem Ofen 2 war mit einem der über 60 m hohen Cowperkamine. Dieser Leitstand hatte einen ganz besonderen Charme mit seinem hölzernen Schriebpult in der Mitte, eine Mischung aus zu großem Schreibtisch und Schaltpult mit ganz wenigen Anzeigen. Das Telefon auf diesen Tisch war schon ein museumsreifes Stück aus den 40er Jahren und hatte noch eine geflochtene, stoffummantelte Zuleitung. Die schwarze Farbe war schon ganz matt vom vielen Benutzen, nicht immer mit den saubersten Händen. Hier war ein Leben, hier wurde alle Öfen zentral überwacht und beobachtet. Hier wurden Abstiche angekündigt und deren Ende gemeldet. Der Leitstandführer hatte alle Kontrollanzeigen jedes einzelnen Ofens auf einer großen fast halbrunden Schalt- und Anzeigenwand vor sich. Es war ein sehr großer Raum mit rot-beigem Fliesenmuster, das nur dann in seiner Farbe voll zur Geltung kam, wenn die Putzfrau es zweimal in der Woche wieder vom Schmutz und Dreck der vergangenen Tage befreit hatte. Sie waren nicht zu beneiden und hatten in der Hütte Kollegenstatus.

In diesem Leitstand war auch eine Saugstelle der werksinternen Rohrpost, einer faszinierenden Einrichtung zur schnellen und sicheren "Datenübermittlung". Die Schmelzer der einzelnen Öfen schickten ihre Gießproben in den Leitstand. Dort wurden sie registriert und mit Probennummern versehen ins zentrale Schnellabor weitergeleitet, ebenfall mit Rohrpost. Diese Anlage hat in der Hütte fast 100(!) Jahre absolut störungsfrei funktioniert, es sei denn irgendein Clown hat mal eine Bierflasche auf die Reise geschickt, die ganz genau das gleiche Kaliber hat wie die Rohrpostbehälter. Sie zerbrach dann irgendwo im weitverzweigten Netz der Anlage, und die Störungssuche war zeitaufwendig und schwer. Wer erwischt wurde, mußte in der Sozialabteilung antreten und bekam eine Abmahnung. Was wird wohl aus dieser technisch hochinteressanten, nostalgischen Anlage einmal werden?

Der Leitstandführer hatte eine sehr große Verantwortung für alle Öfen, und er hatte acht Stunden voll zu tun, um alles unter Kontrolle zu halten.

Was mich immer wieder beeindruckte war der rege Sprechverkehr von und zu den Öfen. Es vergingen keine 5 Minuten ohne irgendeine Nachricht oder Mitteilung, die von den einzelnen Öfen kamen oder die der Leitstand an die Öfen hinausschickte.

Oft erkannte man im Leitstand schon sehr früh, wenn sich an irgendeinem der Öfen ein Problem anbahnte, und mehr als einmal hat ein aufmerksamer Leitstandführer schlimmeres verhindern können. Durch seine Anzeigen und Meßeinrichtungen konnte er quasi in die Öfen "hineinschauen", was die Ofenbesatzung vor Ort nicht konnte.

Allerdings gab es auch Schmelzmeister die den "Ofengang" im Gefühl hatten und ihn ganz genau kannten. Sie fühlten mehrmals pro Schicht mit der Hand den Ofenpanzer ab und wußten ganz genau, wenn die Manteltemparatur Anlaß zur Sorge gab. Mein allererster Vorgesetzter in der Hütte war so ein besonderes Exemplar eines "Öfners"! Er war einmalig. Er sprach mit dem Ofen und hörte jedes Geräusch das nicht dazugehörte. Er kannte seinen Ofen in- und auswendig. Mit ihm hatte der Leitstand sehr wenig Arbeit. Die Abstichzeiten hatte er im Gefühl und lag nie falsch. Am Aussehen und der Fließgeschwindigkeit des Eisen konnte er sagen ob es in Ordnung war oder nicht. Wenn der Lautsprecher in der Gießhalle mit blecherner Stimme den fälligen Abstich meldete, war seine Antwort immer: "läuft schon, erste Probe ist unterwegs".

Drei Wochen war ich in dieser Mannschaft integriert, wuchs schnell hinein und wurde einer von ihnen und akzeptiert. Es traf mich und meine Kollegen vom Ofen 2 wie eine kalte Dusche, als unser damaliger HO-Chef in den Aufenthaltsraum kam und die nötige Neuzustellung des Ofens bekannt gab, mit dem Vermerk, daß die Ofenbesatzung von 12 Leuten auf die anderen Öfen aufgeteilt werde. 3 Mann blieben am 2er, um die nötigen Wartungsarbeiten durchzuführen, der Rest wurde aufgeteilt. Die beiden Neulinge, ein Kollege der mit mir kam und ich, mußten gehen und wurden ins Warmbett der 700er Walzstraße und in den Großbereich Walzwerk/Tiefofen versetzt. Wir gingen mit Tränen und hatten bis zum letzten Tag mit den Kollegen unserer ersten Schicht die Verbindung aufrecht erhalten. Viele von Ihnen hat der oberste Schmelzer bereits zu sich gerufen und sie wurden vom Wind genommen. Ihre Ofenreise ist schon lange zu Ende. Vergessen haben wir sie nie und auch nicht die Zeit, als wir uns gemeinsam vom Abstich erholten, todmüde und durchgeschwitzt im Aufenthaltsraum saßen. Nur kurz dann mußten wieder die Sandrinnen von den alten Schlackenbären befreit werden, neue Sandwälle aufgeschüttet und der Fuchs ausgeräumt werden, die Weicheneisen wurden gesetzt und die Blasformen kontrolliert.

Sollte dann noch Zeit sein, konnten wir uns wieder ausruhen und warteten auf den nächsten Abstich. Drei bis vier mal pro Schicht war das so. Tagein, tagaus, Sommer wie Winter, Tag und Nacht, immer auf das äußerste konzentriert und hellwach, denn am Ofen kannst Du manchen Fehler nur einmal machen.

Jeder Kamerad hatte einen Kollegen, auf den er besonders mit aufpaßte und der wiederum auf einen anderen. So schützte jeder eben jeden. Das hat uns zusammengeschweißt, und deswegen hat es uns auch sehr hart getroffen, als wir den Ofen verlassen mußten.

Einer dieser Kameraden meiner ersten Stunden in der Hütte ist beim letzten großen Ofenunglück ums Leben gekommen. Er war ein Jahr länger dabei und hat es bis zum Schmelzmeister gebracht. Ehre seinem Andenken. Er blieb auf der Hütte für immer und gehört nun zur ewigen Besatzung, deren Geist immer noch in den stillen Hallen lebendig ist und die ewige Wache halten. Alle Industriekulturfreunde sollten das auch niemals vergessen, wenn sie ein altes Werk betreten. Als ich mit Euch in der Hütte war, habe ich sie gefühlt und gespürt, so als wären sie hier. Ich habe ihre Gesichter gesehen, und ich glaube sie haben mich auch begrüßt. Vielleicht bin ich aber auch nur verrückt, ich weiß es nicht!

Lieber Harald, hoffentlich hältst Du mich nicht auch für verrückt, nur ich werde diese Eindrücke und Erlebnisse mein Leben lang nicht mehr los, und ich denke oft und gerne an die schönen und schweren Zeiten im Werk zurück, und ich wünsche mir oft, daß eines Tages das Telefon klingelt und mein ehemaliger Betreibsleiter meldet sich und ruft mich ins Werk, um die Anlagen wieder in Betrieb zu nehmen. Und bei Gott, wir würden sie wieder in Betrieb nehmen, ganz Sulzbach und Rosenberg wären in eine Rauchwolke gehüllt, die Rollgänge würde wieder klingen, die Kräne würde wieder ihre schweren Lasten schleppen, die Konverter würden sich wieder neigen, und ihre Mäuler würden wieder die glühende Speise verschlingen, die Stichlochbohrmaschinen würden wieder rattern und ein Funkenregen würde die Gießhalle bis in alle Ecken erleuchten. Hitze, Rauch, Funken, Lärm und Staub - all das würde uns wieder umgeben und uns gefangen nehmen, und wir würden den Kampf aufs neue mit den Elementen aufnehmen, so wie am ersten Tag. Wir würden wieder zu leben beginnen, und unsere Arbeit hätte wieder einen Sinn für uns und für alle Menschen, für die wir den Stahl erzeugen würden, um ihnen das Leben etwas zu erleichtern.

Denn ein Stahlwerk ist ein lebender Arbeitsplatz, geadelt durch Blut, Schweiß und Tränen aller Arbeitskameraden die dort waren und die dort blieben!

© Text: Markus Grünthaler, Foto: Harald Finster

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